Marietta Solty (1942-2021)
Vor einem Jahr, am 8. Juni 2021, starb Marietta Solty in Hamburg. Marietta war eng mit dem Stadtteil St. Pauli, seinem Nachtleben und seiner Geschichte verbunden. Als Betreiberin der Hongkong-Bar auf dem Hamburger Berg war sie ebenso bekannt wie beliebt. Als Kind aus einer deutsch-chinesischen Partnerschaft hatte sie einen ebenso eigenen wie kritischen Blick auf die Geschichte St. Paulis.
Ihr Vater Chong Tin Lam war als Schiffskoch nach Hamburg gekommen und hatte 1938 in der Heinestraße (im selben Jahr von den Nazis in „Hamburger Berg“ umbenannt) ein chinesisches Lokal namens „China-Restaurant“ eröffnet. Am 13. Mai 1944 verhaftete ihn die Gestapo zusammen mit 128 weiteren Landsleuten im Rahmen der „Chinesenaktion“. Über ein Jahr lang musste er Folter, Misshandlungen und Demütigungen in verschiedenen Lagern über sich ergehen lassen. Der NS-Terror hatte ihn traumatisiert, er war „ein gebrochener Mann“, wie Marietta sagte.
In der frühen Nachkriegszeit eröffnete Chong Tin Lam das „Hongkong-Restaurant“, benannt nach seiner chinesischen Heimstadt. Später wurde dies durch einen Hotelbetrieb ergänzt. Nach seinem 1983 übernahm Marietta das Lokal und betrieb es als Bar und Hotel bis zu ihrem Tod.
War die Geschichte des „Chinesenviertels“ in St. Pauli und die Verfolgung der chinesischen Männer und ihrer deutschen Partnerinnen lange völlig unbekannt, so änderte sich dies schrittweise in den letzten 25 Jahren. Nicht zuletzt dank Marietta. Zwar hatte sie als Kleinkind die NS-Zeit nicht direkt erlebt, doch machte sie es sich zur Aufgabe, an das Schicksal ihres Vaters und das im angetane Unrecht zu erinnern. In zahlreichen Reportagen und Interviews erhob sie ihre Stimme und erzählte ihre und vor allem ihres Vaters Geschichte. 2019 wurde ihr dringlicher Wunsch erfüllt, als ein Stolperstein ihren Vater vor dem Lokal verlegt wurde. Auch aktuelle (Fehl)-Entwicklungen kommentierte sie. So hält sie im Dokumentarfilm „Bis die Gestapo kam …“ (2020 am Ende ein flammendes Plädoyer für eine kritische Erinnerungskultur und verdammt den vermehrt sichtbaren Alltagsrassismus.
Der Stolperstein für Chong Tin Lam wird weiter auf die Geschichte und NS-Verfolgung verweisen. Mariettas Vermächtnis wird mit ihrem vielfach ablegten Zeugnis ebenso bleiben. Sie als Mensch und ihre Stimme hingegen fehlen sehr. Wir vom St. Pauli-Archiv werden sie in warmer Erinnerung und ihr Andenken in Ehren halten.